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Petra-Maria Dallinger. „WENN ICH EIN MANN WÄRE, WAS TÄTE ICH DA ALLES!“
Margret Bilger, Vilma Eckl und Johanna Dorn. In: Oberösterreich. Bildende Kunst 1945-1955, Kataloge des OÖ. Landesmuseums, Neue Folge Nr. 87, Hg. Martin Hochleitner, Linz 1995 (hier gekürzt bis auf die Margret Bilger betreffenden Teile)

Was Margret Bilger in einem Brief im Jahr 1927 als unauflösbares Zerrissensein formuliert, ist eine der zentralen Erfahrungen weiblicher Schaffensbedingungen, sei es in bildnerisch-kreativer oder auch rein geistig-intellektueller Hinsicht. Dabei steht auf der einen Seite das individuell unterschiedlich stark entwickelte Bewußstein von Künstlerinnen (vor allem bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts) über das an der normgebenden Rolle des Mannes gemessene eigene Anderssein, zu dem Schwierigkeiten bezüglich Ausbildung, professionellen Arbeitsbedingungen (Atelier, Ausstellungsmöglichkeiten, finanzielle Selbständigkeit) kommen, während andererseits die Rezeption bzw. Interpretation häufig auf die Geschlechtszugehörigkeit eben von Künstlerinnen rekurriert.

[...] Besonders nach 1945 werden „weibliche Themen“ und Konflikte in bildender Kunst und Literatur stärker von Frauen gestaltet, wobei ein wesentlicher, gleichsam auf die Situation der Frau zurückweisender Motivkomplex die Beschäftigung mit der Dialektik von Macht und Ohnmacht ist, – beispielhaft entwickelt in der Mythologie des Matriarchats. Zu den daraus abzuleitenden und abgeleiteten Formen wird im Zusammenhang mit den Holzrisszyklen von Margret Bilger weiter unten noch zu sprechen sein. [...]  Die allgemeine Lage von Frauen „in der Kunst“ war auch nach dem Zweiten Weltkrieg sowohl hinsichtlich realer beruflicher Praxis als auch ästhetischer Theorien häufig von Vereinzelung, persönlichen und künstlerischen Krisen geprägt.  Dies scheint zur Folge zu haben, dass ein Großteil der Künstlerinnen der ersten Hälfte unseres Jahrhunderts durchaus eine sehr eigenständige Entwicklung im Aufbau von Gegenwelten nahm; gerade am Beispiel Margret Bilgers lässt sich der Prozeß zunehmender künstlerischer Identität in der Umsetzung emotionaler Grenzerfahrungen ablesen.

[...] Beispiel Margret Bilger: Bildwelt und Gestaltung
Margret Bilger sucht von Beginn ihrer persönlichen Entwicklung an einen Weg zwischen emotional-sozialer Anteilnahme und unabhängiger Verwirklichung. Dieser innere Konflikt, augenscheinlich in der verschiedenenorts praktizierten Betreuung von (kranken) Kindern, dem Wunsch ins Diakonissenwerk einzutreten und schließlich der kurzen, in gewisser Weise offenbar geradezu traumatischen Beziehung zu Markus Kastl, den sie 1933, wenige Monate nach dem Tod ihrer Mutter geheiratet hatte, – die Erfahrungen der Enge, die Margret Bilder in Briefen immer wieder andeutet, – münden im künstlerischen in der Verdichtung zu einer ganz spezifischen und sich stark am weiblichen Lebenszusammenhang orientierenden Bildmotivik der Holzrisse. Die Rezeption von Margret Bilgers Kunst zieht sich mangels herkömmlicher Zugangsmöglichkeiten stark auf ein Betonen des „Weiblichen“ zurück. Gerade das Einbeziehen ihrer beinahe mythisch überhöhten, schwer greifbaren Persönlichkeit  und das komplexe druckgraphische Oeuvre mit der unerschöpflichen Vielzahl an Frauenbildern verleiten dazu, Bilgers Kunst mit dem Ausdruck Frauenkunst als umfassend genug erklärt zu sehen.

Otto Breicha umreißt in seinem Beitrag zu Margret Bilger „Merkmale sogenannter Frauenkunst“ sehr sachlich und spricht dabei vor allem die Hinwendung zu Frauenfiguren an, um dann überleitend von großen, offenbar zumindest mit der Person Margret Bilger assoziierten Gefühlen Demut, Dienen, Verzicht auf das gewissermassen „unfaßbare“ Irrationale im Werk von Frauen hinzuweisen. Kern dieser Standortzuweisung ist die biographische, häufig konfliktreiche Erfahrung derjenigen Frauen, die den Widerspruch eines Daseins für andere und der Arbeit an sich/ für sich zu überbrücken versuchen.

Margret Bilger scheint die eigene Außenseiterrolle als Frau und Künstlerin (und darüber hinaus auch als Mensch) stark empfunden und auch angenommen zu haben, wie Briefe, Aussagen und eine gewisse Neigung zur „Selbststilisierung“ zeigen; so ihre häufig andeutungsreichen Äußerungen und die „dunkle Lyrik“. Das Selbstverständnis und Charisma der Künstlerin wirken in einer Verwaltung der „memoria“, die das Werk vorrangig aus dem Wesen begründet und Bilger explizit in die Nähe mittelalterlicher Mystikerinnen rückt, bis heute nach. Zu dieser Form der biographischen Zeichnung gehören die schwärmerische und sowohl von Krankheit als auch von schulischen Mißerfolgen geprägte Jugend des hochsensiblen Mädchens, das von Bilger verwendete Bild eines Veto des Schicksals in Bezug auf Bindungen und ihre Kinderlosigkeit, die teilweise von ihr selbst angefertigte zeitlos schlichte Kleidung, die „kleine Kammer“ im Taufkirchner Haus als Ort des künstlerischen Geschehens (ebenso die verschlossene Schlafkammer) sowie das „Tabu“ der zweiten Ehe.

Eine überaus interessante Parallele zu den stark typisierten Lebensmodellen inspirierter und begnadeter Frauen ist auch die von Margret Bilger als solche bezeichnete Abtrennung von allem, ein Vollzug, der erst empfangsbereit macht und die notwendige, überdurchschnittliche Kapazität für gesteigerte konzentrierte Hinwendung schafft. Alfred Kubin, mit dem „die Bilgerin“ seit 1938 befreundet war, nennt sie in einem seiner Briefe „Elbin“ (u.a. auch Norne, Melusine, Dryade, Fee) und umreißt mit dieser Positionierung im „Reich der Elementarwesen“ die Künstlerin wohl sehr treffend; er, der selbst mit zunehmendem Alter von der Gesellschaft hoch geachtet, dabei jedoch auch vereinnahmt und verharmlost wurde, erkennt in Margret Bilger eine ihm verwandte Künstlerin, deren Frauenfiguren keineswegs das nur Bergend-Tröstende bringen, sondern die archaische Stärke von Müttern und Mänaden. Wo Kubin die Bedrohung und/oder Versuchung durch die Frau stärker im Bereich des Sexuellen sieht, entwirft Bilger erdhaft-demetrische Metaphern weiblicher Macht. Kubin scheint um dieses Grenzgängertum der Bilger zwischen Dämonisierung und Sakralisierung, zwischen Naturgewalt-Vertrauendem und Religiös-Sammelndem zu wissen und öffnet sich ihr in besonderer Weise. Er begleitet ihren Werdegang, schätzt die „mystische Wirkung“ der malerisch-weichen Möglichkeiten des Holzrisses gegenüber dem eigentlichen Holzschnitt, – Techniken, die Margret Bilger ab 1946 zu synthetisieren beginnt.

In ihren narrativen, deutenden und gerade nicht „illustrativen“ Blättern und Holzrissfolgen entwickelt Margret Bilger früh eigene, wiederkehrende Zeichen und schafft dabei tatsächlich so etwas wie Assoziationsräume des Weiblichen, ohne ihre Frauengestalten mit „moralischen Werten“ zu befrachten. Das Kreisen um die Themen Kinderlosigkeit, Mutterschaft, Stiefmutter-Motive, die sie aus den Bereichen Volkskultur, Bibel und Mythos ableitet – zeigt bei ihr die starke Verbindung zwischen persönlichem Erleben und künstlerischer Verarbeitung. Wichtig erscheint es jedoch in diesem Zusammenhang zu erwähnen, dass dieses „Phänomen“, Kunst als „verschobene Mutterschaft“ zu begreifen, keinesfalls ein „typisch weibliches“ ist, wie eine Aussage Oskar Kokoschkas beweist. Dabei ist dieses „kompensatorische Schaffen“ nicht auf die traditionellen Themen Mutter, krankes bzw. totes Kind beschränkt, sondern es wird anscheinend vielmehr auf einer allgemeineren Ebene, Freudschen Kulturentstehungstheorien gleichzeitig ent- und widersprechend, weibliches „Gebären“ mit (männlichem) kulturellem Schaffen und Handeln gleichgesetzt. Eine Äußerung Margret Bilgers dazu belegt dieses Verständnis von Kunst deutlich: Eine Frau hat immer Kinder, trägt immer aus, Gott Dank nicht immer eigene im egoistischen Sinne. Berührungspunkte mit zeitgenössischen Künstlerinnen, die sich in unterschiedlichster Art der Darstellung von Frauen/Müttern widmen, sind dabei zahlreich; herausgreifen möche ich Käthe Kollwitz, mit der Margret Bilger immer wieder verglichen wurde, die dieses Thema jedoch völlig anders entwickelt und ins Zentrum sozialpolitischer Aussagen das Leiden und mögliche Ausbrechen von Frauen stellt, und Paula Modersohn-Becker, der Bilger selbst sich sehr verbunden fühlte.

Im unfangreichen, rund 400 Holzrisse, 250 Landschaftsaquarelle und –pastelle, 350 Portraitzeichnungen und 100 Glasfenster umfassenden Werk Margret Bilgers sind die für eine Bewertung charakteristischer Sujets signifikanten Beispiele im Bereich der Holzrisse zu finden. Die Künstlerin beschäftigte sich seit den frühen zwanziger Jahren mit Möglichkeiten der Graphik, wobei Holz- und Linolschnitte der frühen Jahre noch ganz einem Expressionismus (im Stile Oskar Kokoschkas und seinem 1906 entstandenen „Träumenden Knaben“) verwandt sind, während sich die Formensprache Bilgers in den bereits genannten Zyklen zu Märchen, Mythen, biblischen Themen und Volksliedern abseits von internationalen Strömungen hin zu einem geradezu verstörenden Ausdruckspotential immer mehr verselbständigt. Aus einem organisch geführten und gleichsam doch systematischen Linien- und Spurengewirr tauchen, manchmal nur schemenhaft, Gesichter auf, verdichten sich in rhythmischer Hell-Dunkel-Bewegung Figuren zu markanten Gesten und helleren, ovalen Raumkörpern. Die Spiegelbildlichkeit und Umkehrbarkeit des Dargestellten, augenfällig in der praktizierten Technik, mittels Tamponierung und völliger Durchtränkung des hauchdünnen Japanpapiers zweierlei Abzüge herzustellen (und damit den verso-recto Bezug zu verunklären), ist, neben dem Verzicht auf perspektivische Räumlichkeit, Indiz dafür, dass Margret Bilger ihre Abbilder einer Eigengesetzlichkeit im Sinne von etwas „Bezeichnendem“, ja eines Symbols, unterworfen sah. Hier „erzeugt“ Margret Bilger eine eigene „zusammenhängende“ Welt von Frauen, die lockend, selbstgewiß, schützend oder auch hieratisch- „tragsam“ Facetten weiblicher Stärke verkörpern. Sie schreibt 1957 an eine Feundin: „Besonders Frauen interessieren mich. Beglückt von Frauen, o, wie viel mehr das Leben, das wirkliche Leben! [...] – ja es ist bei den Frauen.“ Die Frage nach affirmativen und subversiven Anteilen in der künstlerischen Produktion von Frauen, die einen Bezugspunkt, eine gesellschaftlich akzeptierte Form (eine „Meta-vera-ikon“) voraussetzt, an Margret Bilger gestellt, zeigt sehr bewusst gesetzte, höchst eigenständige und eigenwillige Gegenentwürfe zu spätbürgerlichen weiblichen Mythen, mit einer adäquaten Weiterführung in der Formensprache. [...]